Freitag, 21. Januar 2011

Aktueller Kommentar: Reform der Pflegeversicherung – letztes Zeitfenster nutzen




21. Januar 2011
nicht löschen!!

Nachdem seit Jahresbeginn neue Regeln für die Finanzierung der gesetzlichen Krankenkassen gelten, drängt nun die Reform der Finanzierung der sozialen Pflegeversicherung (SPV). Auch hier geht es um mehr Zukunftsvorsorge, die das jüngste gesundheitspolitische Gesetzeswerk nur in Ansätzen leistet.

Die Zahl der Pflegebedürftigen dürfte sich bis 2050 auf fast 4 ½ Millionen nahezu verdoppeln.

Dabei wohnt den personalintensiven Pflegeleistungen ohnehin besondere Kostendynamik inne.

Demografisch bedingt schmilzt zudem die Beitragsbasis der SPV. Es stehen tendenziell immer weniger aktive Beitragszahler bereit. In der Folge wird sich der Beitragssatz der Pflegeversicherung in den nächsten Jahrzehnten mehr als verdoppeln, wenn alles beim Alten bleibt.

Zu Recht will die Bundesregierung durch Aufbau von Vorsorgekapital für mehr Nachhaltigkeit bei der Pflege sorgen.

Allerdings sind die Reformvorgaben vage. Eine vollständige Abkehr weg von der Sozialversicherung, hin zur marktwirtschaftlichen Lösung einer Versicherungspflicht bei privaten Versicherungsunternehmen steht nicht zur Debatte. Das Umlageverfahren soll lediglich durch Kapitalbildung ergänzt werden. Letztere müsse "verpflichtend, individualisiert und generationengerecht ausgestaltet sein", heißt es im Koalitionsvertrag.

Diese Vorgaben lassen unterschiedliche Optionen offen. Dazu passt sowohl ein Modell kapitalbildender Vorsorgeprodukte nach der Art der Riester-Rente als auch ein zumindest teilweiser Umstieg hin zu einer privaten Pflegeversicherung.

Beide Ansätze sind zielführend, weil die Bürger eigenverantwortlich vorsorgen. Vor allem nimmt die andernfalls absehbar ausufernde Umverteilung von der heute jungen Generation (der unter 20-Jährigen) zu den stark besetzten Altersjahrgängen der Babyboomer ab. Das mindert potenzielle Generationenkonflikte und schafft langfristig günstigere individuelle Leistungs- und Arbeitsanreize.

Ebenso fördert verstärkte Bildung von institutionellem Vorsorgekapital anhaltendes Wirtschaftswachstum. Auf die positiven Effekte lässt sich um so mehr bauen, je konsequenter die Sozialbeiträge, die auf den Arbeitskosten lasten, im Zaum gehalten werden.

Bei Modellen des ergänzenden Vorsorgesparens verbleibt die Absicherung des Pflegefallrisikos unverändert bei der SPV, mit den genannten Folgen für die Ausgaben der Pflegekassen.

Für die Entlastung der Aktiven in den kommenden Dekaden ist damit zunächst nichts gewonnen. Freilich bietet der Aufbau von individuellem Vorsorgekapital neue Möglichkeiten, die Abgabenlast der Aktiven künftig durch nach dem Lebensalter gestaffelte Beiträge zur SPV zu begrenzen. Die steigenden Beiträge treffen so zwar verstärkt die dann älteren Abgabepflichtigen. Das ist aber insoweit weniger problematisch, wie die Älteren in Zukunft auf zusätzliche Ersparnisse zurückgreifen können, um die erhöhten Beiträge zu bezahlen.

Allerdings stellen sich bei einem ergänzenden Ansparmodell etwa hinsichtlich geeigneter Produkte ähnlich komplexe Fragen wie bei der Implementierung der Riester-Rente 2001. Einfacher und effizienter als ein eigenständiges zweites System aufzubauen wäre es, die bewährten Säulen privater Vorsorge, Riester-Rente, Basis-Rente und betriebliche Altersversorgung, weiter zu stärken. Stichworte dazu lauten etwa Einführung eines Opt-out-Modells bei der betrieblichen Vorsorge sowie Dynamisierung der staatlichen Förderung der individuellen Vorsorge.

Der direkte Weg zu mehr Nachhaltigkeit führt indes über einen Wechsel oder zumindest Mix der Systeme, wobei private Versicherungsgeber die Aufgabe der SPV (teilweise) übernehmen. Dabei ist etwa an die private Absicherung von Karenzzeiten (zwischen Beginn der Pflegebedürftigkeit und der Leistungsgewährung) zu denken, die bei der SPV zwecks Kostendämpfung eingeführt werden könnten. Um eine Abwälzung privater Pflegekosten auf den Staat (Sozialhilfe) zu verhindern, verpflichtet der Staat die Mitglieder der SPV, sich bei privaten Versicherungsunternehmen soweit abzusichern, dass (zusammen mit den Leistungen der SPV) im Pflegefall ein Mindestschutz besteht. Im Übrigen können die Bürger die Versicherungsgeber frei wählen. Das stärkt den Wettbewerb und die Effizienz des Versicherungsmarktes.

Eine ergänzende Absicherung der SPV-Mitglieder bei privaten Versicherungen ermöglicht es, das Leistungsniveau der SPV allmählich zu reduzieren. Ziel sollte es sein, die absehbare Expansion der umlagefinanzierten Pflegeausgaben soweit zu begrenzen, dass die betreffenden Sozialbeiträge der Aktiven und der Wirtschaft allenfalls moderat steigen.

Allerdings bedarf es bei einem Systemwechsel einer Übergangslösung für Ältere – die etwa über 65-Jährigen. Sie müssen weiterhin in der SPV vollversichert bleiben, weil private Versicherungen ältere Menschen wegen des im höheren Alter stark steigenden Pflegefallrisikos nur zu hohen Kosten neu aufnehmen können.

Dadurch werden die heutigen Aktiven zusätzlich belastet. Sie müssen das Gros der Pflegeausgaben für die ältere Generation schultern und zusätzlich Prämien zur privaten Versicherung zahlen. Mit einem nur teilweisen Übergang können die Belastungen aber begrenzt werden. Das resultiert daraus, dass hier die SPV erhalten bleibt und auch künftige Generationen noch Beiträge entrichten.

Welches Gewicht die SPV längerfristig behalten soll, wie also die Lasten zwischen den Generationen zu verteilen sind, ist politisch zu entscheiden. Vom Sachverständigenrat und anderen Experten durchgerechnete Vorschläge für vollständige oder teilweise Übergänge zu privatwirtschaftlichen Lösungen liegen seit langem auf dem Tisch.

Der Einstieg in den Aufbau von Vorsorgekapital für die Pflege duldet keinen weiteren Aufschub. Wenn in der Zeit besonderer Verwerfungen bei der SPV, die in 20 bis 25 Jahren beginnt, ein nennenswerter Kapitalstock verfügbar sein soll, müssen die Weichen jetzt richtig gestellt werden. Kapitalbildung braucht Zeit, zumal viele Bürger nur eher geringe Vorsorgebeiträge leisten können.

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